Montag um 3 Uhr morgens

Montag um 3 Uhr morgens wacht das herrliche Kind auf und weint. 
Das Aua soll weg gehen, weint er.
Hält sich den Kopf oder die Ohren, ich kann es nicht genau sagen. Das Kind kann es auch nicht genau sagen. 
Beruhigen kann er sich auch nicht.
Ich nehme ihn auf den Arm, wandere ein paar Runden durch die dunkle Wohnung. Er klebt an mir. Ist ganz schlapp, legt den Kopf auf meine Schulter. Weint vor sich hin. "Ins Bett gehen!".
Er schläft halb auf mir weiter, ich döse vor mich hin.
Fieber hat er nicht.

Den ganzen Montag liegt das Kindlein im Bett. An der selben Stelle.
Weint viel. Schläft kaum. Isst und trinkt nur im Liegen. Hört Hörspiele. Guckt ein bißchen Zeichentrick im Liegen.
Schläft dann abends ein.
Und ich neben ihm.
Den ganzen Tag neben ihm.
Seltsam finde ich es, dass er sich nicht einmal umdrehen will.
Er fasst sich immer wieder hinter das rechte Ohr. 

Dienstag Morgen will er noch immer nicht aufstehen.
Dreht sich vorsichtig zur Seite im Bett. Jammert.
Ich habe Dienst. 12 Stunden Schicht.
Locke ihn. Bin streng. Schimpfe ein bisschen. 
Das kann doch nicht sein. Fieber hat er keines. Was hat er denn? Ist das alles Theater?
Er weint, sagt "du musst nicht so laut schimpfen".
Ich sage, "ich helfe dir jetzt beim Aufsetzen".
Helfe ihm.
Und er schreit schrill, laut, ist blass. Weint eine halbe Stunde. Hält sich den Kopf.
Lässt sich nicht beruhigen.
Weint "es tut so weh, das Aua soll weg gehen".

Ich habe ihn noch nie so gesehen.
Bin plötzlich total ängstlich.
Denke an. Abszesse. Tumorerkrankungen. An Gehirnhautentzündung.
Denke an Migräne.
Seit 32 Stunden liegt er im Bett ohne sich auch nur ein Mal aufgesetzt zu haben.
Plötzlich habe ich richtig Angst. Um ihn.

Ich rufe den Hintergrund Oberarzt an. Mir kommen die Tränen am Telefon.
Sage ihm, dass ich mit meinem Kind ins Krankenhaus muss. Jetzt. Sofort.
Kein Dienst.
Ich bin aufgelöst.
Frage ihn, was er denkt. Er sagt, "Ruf die Rettung".

Der herzvolle Vater ist gekommen.
Sagt wenig.
Sagt, "ok gut, Notaufnahme".
Braucht ewig, bis er fertig ist. So wie immer. Ich ertrage es kaum.
Habe das Kind auf dem Arm. Er hält sich den Kopf und legt sich ganz schwer auf meine Schultern. Kein Kinderwagen. "Mama Arm!"

Wir gehen zu Fuß.
Wohnen ja um die Ecke. 
Unterwegs scheint das Ibuprofen zu wirken, dass ich morgens in den Kakao gerührt habe. Das Kind wird lebendiger. Zeigt auf einen Bagger. Sieht einen Käfer.
Scheint sich zu erholen.
Hält sich ununterbrochen den Kopf, hinter dem rechten Ohr. 
Ich entscheide, trotzdem Notaufnahme. 
Aber vorher soll der herzvolle Vater noch Brötchen holen. Für die Belegschaft.
Das herrliche Kind wird lebhafter.
Mir ist klar, der Kinderarzt wäre jetzt die richtige Adresse. Nicht die Notaufnahme.
Der Kinderarzt macht erst in 2 Stunden auf und ist außerdem verrückt.
Deshalb.
Bleibe ich dabei.
Wir bringen Brötchen. Zumindest das.

Das herrliche Kind trägt die Brötchen zum Tresen, gibt das riesige Papiersackerl den Schwestern. Schaut ernst. Sagt nichts.
Ich erkläre und entschuldige mich.
Rede ein bißchen zu viel.
Bin so dankbar, dass wir gesehen werden. Könnte jeder Schwester einzeln um den Hals fallen.
Das Kind soll auf die Waage steigen. Das tut es. Es soll den Mund aufmachen und Aaahhhh sagen. Das tut es. Es lässt sich abhören. Es legt sich hin und lässt sich den Bauch abtasten. Als die Ärztin fragt, wo es weh tut, zeigt er hin. Er flüstert sogar "da". Und als die Ärztin sagt, dass er eine schöne Eule auf dem Pulli hat, sagt er "das ist der große Adler". 
Er ist sehr ernsthaft.
Dreht den Kopf, damit die Ärztin in beide Ohren gucken kann.
Fragt dann, "bin ich wieder gesund?".

Ist er nicht.
Mittelohrentzündung.
Die Ärztin sagt, das kann so weh tun, dass sich Kinder gar nicht bewegen wollen.
Das kommt wieder in Ordnung.

Draußen wartet der herzvolle Vater.
Das Kind erzählt. Ist aufgeregt.
Erzählt es gleich nochmal.
Ich war noch nie so stolz auf ihn. Wie kompetent er gerade war. Wie kooperativ und geduldig.
So untypisch für ihn, der so schüchtern ist, keine fremden Menschen um sich haben will, schon gar nicht auf Tuchfühlung.

Er bekommt jetzt Ibuprofen. Versteckt im Kakao. Erstmal fest angesetzt.
Das hilft.
Er spielt. Er badet. Er bewegt sich.

Jetzt gerade liegt er neben mir im Bett. Murmelt im Schlaf.
Ich weiß, es ist gar nichts los, ich habe mich im Prinzip lächerlich gemacht heute in der Kindernotaufnahme.
Trotzdem.
Ich bin dankbar und demütig und erleichtert - und liebe dieses herrliche Kind so sehr wie noch nie. 






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