Gestern um kurz nach 19 Uhr
Gestern um kurz nach 19 Uhr gehe ich in die Polizei Station.
Die Polizisten sitzen hinter der Glassscheibe in einer Art Großraum Empfangsbüro. Einer sagt zum anderen, "frag sie mal, was sie will".
Was ich will.
Ich will einen Erwachsenen, der mindestens einen Kopf größer und 20 kg schwerer ist als ich, der mich in den Arm nimmt und sagt, dass ich heim gehen soll, den Pyjama anziehen und Podcast hören, und dass er sich jetzt kümmert. Um den ganzen Ärger. Für mich. Statt mir. Ohne mich.
Ein Polizist kommt zu mir.
Ich sage "ich habe ein Auto vom Carsharing kaputt gemacht, leider."
Ich soll Platz nehmen. Ihm meine Papiere geben.
"Was ist denn passiert?" fragt er.
Ich will sagen, "heute oder überhaupt?"
Ich will sagen "ich komme nicht zum Lernen für meine Facharzt Prüfung, weil ich abends zu müde bin und tagsüber zu beschäftigt mit dem herrlichen Kind und den Patienten und dem Aufräumen, Einkaufen, Wäsche waschen; ich habe einfach nie Geld übrig, ich habe kaum Energie übrig um Sport zu machen und immer zu wenig Zeit für meine Freundinnen. Ich bin müde, ich bin zerknittert, ich bin fast vierzig. Ich weiß nicht, wie Liebesbeziehung geht. Und ich habe heute beim Ausparken das Carsharing Auto gegen einen Boller gefahren, nach einem ganzen Nachmittag Kindergeburtstag."
Ich sage, "ich habe das Auto verbeult beim Ausparken".
Er will das Auto sehen.
Das Auto steht oberverboten auf dem Polizeiauto Parkplatz, ich parke es um, der Polizist sieht mir zu, ich habe einen Schweißausbruch, weil es gewittrig und schwül ist und ich ins Bett will, zum herrlichen Kind, das auf dem Heimweg eingeschlafen ist vorhin.
Wir schauen uns das verbogene Blech an. Tippen es mit dem Finger an. Beide. Ein bißchen andächtig. Das verbindet.
"Steht der Boller noch?" fragt der freundliche Polizist.
"Ja" sage ich, obwohl ich keine Ahnung habe. Was mit dem gottverdammten Boller ist. Ist mir egal.
Ich bekomme ein Aktenzeichen.
Werde außerdem eine Ordnungsstrafe bekommen. Wofür genau, weiß ich nicht. Weil man keine Boller anfahren soll, oder weil man keine Mietautos kaputt machen soll, oder weil man nicht zuerst das Kind nach Hause fahren und ins Bett bringen soll anstatt an der Unfallstelle die dort zuständige Polizei zu informieren.
Der Polizist sagt, "statistisch baut jeder in 50 Jahren 2 Unfälle; und es ist ja nichts Schlimmes passiert".
Ich nicke.
Denke ein bißchen an den Selbstbehalt, den ich dem Carsharing überweisen werde.
Denke, es ist doch ein bißchen was passiert. Oder wird passieren. Mal wieder. Auf dem Konto.
Dann rufe ich die Carsharing Info-Hotline an.
Erzähle alles nochmal.
Der Mann am Telefon sagt, ich hätte Fotos vom Schaden machen sollen, hätte gleich, sofort, über die App eine Schadensmeldung melden sollen. Ich sage, "ja", verdrehe die Augen, finde ihn blöd. Dann sagt er, ich hätte mich ja für die Variante "Selbstbehalt maximal 450.- Euro" entschieden, normalerweise wären es über 900.- Euro.
Ich habe keine Ahnung, wovon er redet.
Erinnere das nicht. Dass ich das so fest gelegt habe. In der App.
Der blöde Mann scheint sich für mich zu freuen.
Offenbar werde ich maximal 450.- Euro bezahlen müssen.
So viel Geld, sauviel Geld.
Aber stimmt ja, keine knapp 1000.- Euro oder noch mehr.
Immerhin.
Der herzvolle Vater sitzt in meiner Wohnung und hütet das schlafende Kind.
Er sagt, "wenn ich demnächst richtig verdiene, ist das machbar".
Ist es wahrscheinlich.
Ich finde, ich hätte es verdient, diese Summe für Kleider und Wimperntusche auszugeben.
Immer dann. Wenn ich ein bißchen Geld zur Seite gelegt habe. Ist irgendwas.
Ich will eine starke Schulter.
Die mir meinen Blechschaden bezahlt.
Und den Behörden Kram übernimmt.
Und mir dann Kleider und eine neue Wimperntusche kauft.
Und mich toll findet.
Einfach so.
Und die ich zurück toll finde, zu Recht.
Immerhin. Noch ein Kind will ich in diesem Moment nicht. Im Gegenteil.
Bin selber kindlich. Bedürftig.
Wünsche mir Versorgung.
Kein Kinderwunsch gestern Abend.
In der Mitte, mitten drinnen, also im Auge des Wunsches, fühlen sich diese beiden gegensätzlichen Sehnsüchte gleich an.
Oder fühle ich mich vielleicht gleich an. Innen.
Wenn ich unerfüllte Wünsche und Bedürfnisse wie sperrige Pakete mit mir herum trage. Nicht weiß, wohin damit.
Das ist ein gleiches Gefühl, egal was im Paket drin ist.
Wahrscheinlich ist das Gleiche drin.
Ich trage also. Unhandlich ist es.
Weiß nicht, wie damit umgehen. Schultern?
Auf dem Kopf tragen?
Wohin damit?
Was bitte ist zu tun mit sperrigen, unerfüllten Bedürfnissen.