Marillenknödel

2 von 7 Diensten geschafft.
Morgen ein Nachtdienst.
Es ist anstrengend.
Unschön.
Viele junge Frauen, die sich schwer intoxikieren in suizidaler Absicht.
Junge Frauen, denen das Leben verrutscht ist. Akutpsychiatrie ist da keine Hilfe, oft eher eine weitere Eskalation.
Es ist unschön.

Heute habe ich frei.
Heute sind das herrliche Kind und ich zu zweit.
Wir trinken Kakao und Kaffee im Bett.
Hören ein Hörspiel.
Gehen dann früh los zum Spielplatz.
Ein für uns neuer Spielplatz, ganz nahe, von dem ich bisher gar nichts wusste.
Wir sind die ersten.
Klettern 89 Mal die lange, verschwurbelte Rutsche hoch. Die Sonne scheint, sonst wäre es kalt.
Das Kind spielt irgendwann im Sand und ich lerne. Antidepressiva. Bin beruhigt, weil ich manches tatsächlich weiß.
Das Kind singt.
Ich erzähle ihm was über Rezeptor Affinitäten und Indikationen.

Auf dem Heimweg kaufe ich Marillen.
Kaufe dem herrlichen Kind ein großes Eis.
Unser Tag ist das heute.
Unser gutes Leben.

Das Kind macht dann doch einen Mittagsschlaf. Später als sonst.
Und meine Freundin C., meine Kollegin, meine Mitbestreiterin der Kohorte kommt zum Marillenknödel essen.
Bringt ihr Funkeln mit. Und ihre Erdung.
Wir bleiben den restlichen Nachmittag in der Küche.
Mit Kind und König der Löwen und Marillenknödel und später auch einem Glas Rotwein.
Und wir besprechen einmal quer das Leben.
Sitzen auf dem Boden.
Zwischen Semmelbrösel und Kristallzucker, mitten in der Geborgenheit die zwischen uns entstanden ist.

Herta Müller schreibt "erst blühen uns die Bäume durch den Kopf, jetzt, wenn sie kann, zieht die Aprikose ihr gelbes Heimweh an".

C. schickt mir später am Abend ein Gedicht, das sie geschrieben hat "Marillenknödel Nachmittag".

Und ich war heute - mit jedem Quadratmeter in mir, mit meiner Kindheit und meinem Kind, dem Heimweh, dem Vorwärtsblühen, mit meiner Wahlfamilie hier weit weg von daheim - ich war Zuhause.

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