Die abgerissenen Fäden

Jede Nacht träume ich.
Immer ähnlich.
Immer so real, dass ich beim Aufwachen sekundenlang nicht weiß, was wirklich ist.
Ich träume, dass ich noch studiere.
Dass ich schon lange keine Prüfung mehr gemacht habe, eventuell Termine übersehen habe.
Ich träume, dass ich in einem Studentenheim ein Zimmer bezogen habe, aber vergessen meine Sachen mitzubringen. Das Zimmer ist teilmöbliert, schrecklich trist, herunter gekommen.
Ich träume, dass ich Jura studiere. Bin im Traum erschrocken - auch das noch, ich bin doch mit Medizin noch gar nicht fertig.
Träume, dass mein Bett eine Art Indoor Teich ist, ein Holzrahmen, der mit Wasser gefüllt ist, der Lattenrost ist zu klein. 

Und dann träume ich jede Nacht von vergangenen Beziehungen.
Von F., der wie kein anderer zu mir gepasst hat. Oder ich zu ihm.
F. und ich sind gescheitert an unserer Sprachlosigkeit, was unsere Konflikte angeht.
Ich denke darüber nach. Immer wieder. Seit Jahren. Seit Tagen besonders.
Ich denke, wir hätten es schaffen können. Mit einer Paartherapie zum Beispiel. Hätten sprechen lernen können.
Ich hadere.
Mit dem was nicht geworden ist.
Hätte ich nur. Dann.
Dann wäre ich jetzt woanders, wäre alles anders.
Hätte ich. Vielleicht zwei Kinder.
Längst den Facharzt.
Wäre ich. Oberärztin.
In Österreich.
Hätte ein Zuhause. Eines. Nur das eine.
Hätte diesen einen Partner seit immer, seit damals. Diesen Vertrauten.
Hätte. Diese eine Beziehung. Die eine Institution ist. Die es legitimiert, ein bißchen selbstgerecht zu sein.
Die Gewicht hat. Eine Art Edelglanzlack.
Ich wäre. Teil eines Wir.
Ein Wir aus einem Guss.

Der Lehranalytiker sagt, die anstehende Facharztprüfung ist der Auslöser für das, was sich aktuell abspielt in mir.
Ich sage, "nichts in meinem Leben ist aus einem Guss".
Alles ist ein Gewurschtel.
Zusammen gebastelt. Eine wirbelnde Masse lebhafter Gegensätze. Ein Fleckerlteppich.
Ich sage, dass auf meinem Grabstein stehen könnte: "Durchgewurschtelt bis hierher".

Der Lehranalytiker sagt, es geht ums Heilen. Ums Zusammen-Wachsen, Heil-Werden. Generell, sagt er, geht es mir darum. Im Speziellen und immer bewusster in den letzten Wochen.
Er sagt, ich trauere.
Ich sage, "wir hätten es schaffen können, F. und ich. Ich war einfach zu - ".
Und dann fehlt mir das Adjektiv.
Jung.
Aufgescheucht.
Impulsiv.
Zu sehr auf der Flucht.
Zu weit weg von mir.
Zu wenig sorgfältig.

Ich bin traurig.
So viel Murk.
Immer wieder.

Meine Freundin Y. hat mir vorletztes Wochenende die Freundschaft gekündigt, weil wir uns zu wenig sehen.
Ich habe ihr geantwortet, dass sie immer meine Freundin sein wird, egal wie wenig ich sie sehe. Auch, wenn ich sie ab jetzt nie wieder sehe.
Dann waren wir spazieren.
Haben geredet.
Wir haben uns ausgesprochen.
Uns erklärt. Es geklärt.
Sind jetzt zusammener.

Seit kurzem kann ich es.
Das Bewahren und Entwirren.

Ich bin traurig.
Über die abgerissenen Fäden.


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