Covid-19, Skizze #4
Ich kann nicht schlafen. Bin sehr müde.
Meine Augen jucken, das sind die Pollen. Das herrliche Kind liegt neben mir und schnaubt. Er hat im Schlaf gerade "Mama" gesagt und ich habe ihm zwei Küsschens gegeben.
Ich liebe ihn so sehr, so so sehr, heute besonders, jetzt gerade geradezu immens.
Die Kohorte ist geschafft. 7 Dienste in 14 Tagen, der letzte war ein Nachtdienst.
Ich habe 2 Stunden geschlafen. Auf dem Weg nach Hause hat mein Körper vibriert. So wie es innen in den Ohren vibriert, wenn man zu nahe an der Box getanzt hat im Club.
Ein bißchen dröhnt es noch nach.
Gerade genug, um nicht zu schlafen.
Es war anstrengend.
Aber machbar.
Irgendwie sogar angenehm.
Nur Notfall Versorgung und Konsile im Haus und auf der Intensivstation.
Relativ kurze Kontakte. Überschaubar. Das Notwendigste.
Situation einschätzen, Behandlung bahnen. Tschüss.
Am Morgen nach dem letzten Dienst dann ein Konsil auf der Intensivstation. Ein Mann Mitte 20 verweigert die OP, ohne die er sterben wird. Ohne die er innerhalb von Stunden sterben wird. Es geht um die Beurteilung der Einsichts- und Urteilsfähigkeit. Ich muss entscheiden, ob dieser Patient in der Lage ist, die Situation zu überblicken. Ich entscheide, im Klartext, ob er entscheiden darf. Schätze ich den Patienten als beeinträchtigt ein, kann ich ihn zur OP zwingen.
Absurd viel Macht über jemanden, den ich nicht kenne und noch absurder angesichts der Tatsache, dass es um Leben oder Sterben geht.
Der Patient will sterben. Seit 7 Jahren wird er von einem Sarkom und den Chemotherapiefolgen demontiert. Jetzt blutet er in den Bauch aus einer kleinen Arterie. Hat für dieses Gespräch mit mir zugestimmt, noch ein Mal Flüssigkeit durch die Vene und Kreislauf-stabilisierende Medikamente zu bekommen.
Sonst könnte er wohl nicht mehr.
Könnte nicht mehr sprechen.
Sagt die Oberärztin der Intensivstation.
Der Patient ist weiß wie das Laken. Nicht blass. Er ist weiß im Gesicht. Lippen weiß. Blutleer. Abgemagert. Große Augen. Er sagt, er ist sicher. Er will nicht mehr. Weiß, dass er sterben wird. Heute noch. Das ist so.
Die Eltern sitzen links und rechts am Bett. Die Mutter ringt um Fassung, windet sich auf dem Stuhl. Der Vater hält die Hand des Patienten. Hält sich daran fest. Ist nach außen hin gefasst, beim Hinspüren scheint er zu schweben.
Der Patient ist orientiert. Formalgedanklich geordnet. Die Auffassung ist unauffällig. Er hat es verstanden. Er kann das entscheiden.
Er ist ruhig. Konzentriert. Angestrengt von mir und meinen Fragen. Geduldig.
Die Chirurgen sind da.
Wollen operieren.
Versuchen alles.
Reden viel.
Erklären.
Der Patient schließt die Augen.
Ich denke, es ist doch glasklar, er hat sich entschieden. Denke, wir stehlen den Eltern die Zeit. Denke auch, wir nehmen uns zu wichtig. Hier ist jemand mit seinem Tod beschäftigt. Ganz und gar. Nicht mit uns, den Ärzten.
Braucht uns nicht.
Braucht nur die Intensivmedizinerin. Damit es nicht weh tut.
Dann denke ich, die Mutter braucht hier jemanden. Jetzt.
Ich biete ihr an, kurz nach draußen zu gehen, vor die Türe. Vor dem Zimmer keucht sie, schluchzt sie, heult sie laut auf. Sagt, sie habe Angst eine Panikattacke zu bekommen.
Sagt, sie habe gehofft.
Er würde. Sich operieren lassen.
Sagt, sie wolle selbst dort liegen.
Sagt, er habe noch nicht gelebt, habe keine Frau, keine Kinder.
Fragt "was soll ich jetzt tun."
Ich sage, "bei ihm sein".
"Aber wie?"
Ich sage, "so wie immer, wenn sie ihn zum Einschlafen gebracht haben, als er klein war".
Sie sagt, das sei leicht gewesen. Ihr Gesicht wird weich.
Ich sage "genau so, und lieben Sie ihn und atmen Sie ein und aus".
Sie sieht mich an und sagt "aber das ist schrecklich". Und ich nicke. Das ist es.
Sie sagt "ich bin seit 7 Jahren nicht vorbereitet". Ich nicke. Sage "natürlich nicht". Bin betroffen.
Denke eine halbe Sekunde an mein eigenes Kind.
Es knirscht in mir.
Ich frage sie, ob sie den Sohn versteht. Sie nickt.
Ich sage, "er sagt, er ist so weit, er kann heute loslassen".
Sie antwortet "das ist schrecklich".
Ich sage "es ist unvorstellbar schrecklich".
Wir schweigen.
"Einschlafen also" sagt sie dann.
Ich nicke.
Sie will zu ihm zurück.
Ich bringe sie ans Bett.
Der Patient guckt in ein Telefon. Ein Videoanruf offenbar. Der Vater daneben. Hält das Handy. Hält sich mit der anderen Hand an seinem eigenen Oberschenkel fest.
Ich gehe aus dem Zimmer.
Treffe auf dem Flur Ärztin der Intensivstation.
"Stunden vielleicht, eher nicht bis morgen." sagt sie.
Mehr nicht.
Ich dokumentiere sorgfältig.
Es ist leicht, es aufzuschreiben.
Die Luft ist warm und die Vögel, die Bäume, der Himmel - alles zusammen schreit 'Frühling und Neuanfang' als ich nach Hause gehe gestern.
Die Nacht und die Schlaflosigkeit wummern in mir gestern.
Heute nicht mehr.
Es dröhnt noch.
Dass er gestorben ist, sagt mir F.
Er ist heute im Dienst.
Sieht es im System.
Ich frage nicht, wie genau und wann genau.
Frage nicht.
Denke daran.
An seine Eltern.
Seine Ruhe.
Liege wach neben dem herrlichen Kind.
Liebe das Kind hilflos hinaus ins Universum. Höre ihm beim Atmen zu.
Stelle mir nichts vor. Formuliere keine Hoffnung. Konzentriere mich darauf, ihn zu lieben.
In Solidarität.
Mit der Mutter.
Meine Augen jucken, das sind die Pollen. Das herrliche Kind liegt neben mir und schnaubt. Er hat im Schlaf gerade "Mama" gesagt und ich habe ihm zwei Küsschens gegeben.
Ich liebe ihn so sehr, so so sehr, heute besonders, jetzt gerade geradezu immens.
Die Kohorte ist geschafft. 7 Dienste in 14 Tagen, der letzte war ein Nachtdienst.
Ich habe 2 Stunden geschlafen. Auf dem Weg nach Hause hat mein Körper vibriert. So wie es innen in den Ohren vibriert, wenn man zu nahe an der Box getanzt hat im Club.
Ein bißchen dröhnt es noch nach.
Gerade genug, um nicht zu schlafen.
Es war anstrengend.
Aber machbar.
Irgendwie sogar angenehm.
Nur Notfall Versorgung und Konsile im Haus und auf der Intensivstation.
Relativ kurze Kontakte. Überschaubar. Das Notwendigste.
Situation einschätzen, Behandlung bahnen. Tschüss.
Am Morgen nach dem letzten Dienst dann ein Konsil auf der Intensivstation. Ein Mann Mitte 20 verweigert die OP, ohne die er sterben wird. Ohne die er innerhalb von Stunden sterben wird. Es geht um die Beurteilung der Einsichts- und Urteilsfähigkeit. Ich muss entscheiden, ob dieser Patient in der Lage ist, die Situation zu überblicken. Ich entscheide, im Klartext, ob er entscheiden darf. Schätze ich den Patienten als beeinträchtigt ein, kann ich ihn zur OP zwingen.
Absurd viel Macht über jemanden, den ich nicht kenne und noch absurder angesichts der Tatsache, dass es um Leben oder Sterben geht.
Der Patient will sterben. Seit 7 Jahren wird er von einem Sarkom und den Chemotherapiefolgen demontiert. Jetzt blutet er in den Bauch aus einer kleinen Arterie. Hat für dieses Gespräch mit mir zugestimmt, noch ein Mal Flüssigkeit durch die Vene und Kreislauf-stabilisierende Medikamente zu bekommen.
Sonst könnte er wohl nicht mehr.
Könnte nicht mehr sprechen.
Sagt die Oberärztin der Intensivstation.
Der Patient ist weiß wie das Laken. Nicht blass. Er ist weiß im Gesicht. Lippen weiß. Blutleer. Abgemagert. Große Augen. Er sagt, er ist sicher. Er will nicht mehr. Weiß, dass er sterben wird. Heute noch. Das ist so.
Die Eltern sitzen links und rechts am Bett. Die Mutter ringt um Fassung, windet sich auf dem Stuhl. Der Vater hält die Hand des Patienten. Hält sich daran fest. Ist nach außen hin gefasst, beim Hinspüren scheint er zu schweben.
Der Patient ist orientiert. Formalgedanklich geordnet. Die Auffassung ist unauffällig. Er hat es verstanden. Er kann das entscheiden.
Er ist ruhig. Konzentriert. Angestrengt von mir und meinen Fragen. Geduldig.
Die Chirurgen sind da.
Wollen operieren.
Versuchen alles.
Reden viel.
Erklären.
Der Patient schließt die Augen.
Ich denke, es ist doch glasklar, er hat sich entschieden. Denke, wir stehlen den Eltern die Zeit. Denke auch, wir nehmen uns zu wichtig. Hier ist jemand mit seinem Tod beschäftigt. Ganz und gar. Nicht mit uns, den Ärzten.
Braucht uns nicht.
Braucht nur die Intensivmedizinerin. Damit es nicht weh tut.
Dann denke ich, die Mutter braucht hier jemanden. Jetzt.
Ich biete ihr an, kurz nach draußen zu gehen, vor die Türe. Vor dem Zimmer keucht sie, schluchzt sie, heult sie laut auf. Sagt, sie habe Angst eine Panikattacke zu bekommen.
Sagt, sie habe gehofft.
Er würde. Sich operieren lassen.
Sagt, sie wolle selbst dort liegen.
Sagt, er habe noch nicht gelebt, habe keine Frau, keine Kinder.
Fragt "was soll ich jetzt tun."
Ich sage, "bei ihm sein".
"Aber wie?"
Ich sage, "so wie immer, wenn sie ihn zum Einschlafen gebracht haben, als er klein war".
Sie sagt, das sei leicht gewesen. Ihr Gesicht wird weich.
Ich sage "genau so, und lieben Sie ihn und atmen Sie ein und aus".
Sie sieht mich an und sagt "aber das ist schrecklich". Und ich nicke. Das ist es.
Sie sagt "ich bin seit 7 Jahren nicht vorbereitet". Ich nicke. Sage "natürlich nicht". Bin betroffen.
Denke eine halbe Sekunde an mein eigenes Kind.
Es knirscht in mir.
Ich frage sie, ob sie den Sohn versteht. Sie nickt.
Ich sage, "er sagt, er ist so weit, er kann heute loslassen".
Sie antwortet "das ist schrecklich".
Ich sage "es ist unvorstellbar schrecklich".
Wir schweigen.
"Einschlafen also" sagt sie dann.
Ich nicke.
Sie will zu ihm zurück.
Ich bringe sie ans Bett.
Der Patient guckt in ein Telefon. Ein Videoanruf offenbar. Der Vater daneben. Hält das Handy. Hält sich mit der anderen Hand an seinem eigenen Oberschenkel fest.
Ich gehe aus dem Zimmer.
Treffe auf dem Flur Ärztin der Intensivstation.
"Stunden vielleicht, eher nicht bis morgen." sagt sie.
Mehr nicht.
Ich dokumentiere sorgfältig.
Es ist leicht, es aufzuschreiben.
Die Luft ist warm und die Vögel, die Bäume, der Himmel - alles zusammen schreit 'Frühling und Neuanfang' als ich nach Hause gehe gestern.
Die Nacht und die Schlaflosigkeit wummern in mir gestern.
Heute nicht mehr.
Es dröhnt noch.
Dass er gestorben ist, sagt mir F.
Er ist heute im Dienst.
Sieht es im System.
Ich frage nicht, wie genau und wann genau.
Frage nicht.
Denke daran.
An seine Eltern.
Seine Ruhe.
Liege wach neben dem herrlichen Kind.
Liebe das Kind hilflos hinaus ins Universum. Höre ihm beim Atmen zu.
Stelle mir nichts vor. Formuliere keine Hoffnung. Konzentriere mich darauf, ihn zu lieben.
In Solidarität.
Mit der Mutter.