Covid-19, Skizze #3

3 von 7 Diensten geschafft.
Der erste war ruhig.
Der zweite war durchschnittlich.
Gestern bin ich zehn von zwölf Stunden  gerannt. Ein Patient nach dem anderen kommt in die Notaufnahme oder wird gebracht.
Es ist die 4. Woche in Isolation. Leicht ist es für niemanden und für manche ist es unerträglich.

Eine Patientin schneidet sich mit der Bastelschere den Hals auf. Weil sie die Isolation nicht mehr erträgt. Sie leidet unter einer Borderline Störung, hat also ohnehin Schwierigkeiten ihre Gefühle zu regulieren, gerät auch ohne Pandemie in große Anspannungs-Zustände, kann sich ohnehin nicht gut aushalten.
Die Patientin ist noch immer angespannt als sie bei uns ankommt. Wir können sie nicht untersuchen, ohne sie fest zu halten. Um die Wunde zu versorgen, muss sie von 3 Männern vom Sicherheitsdienst und 2 Pflegern immer wieder aufs Bett gedrückt werden. Ich gebe mein Bestes, sie zu beruhigen. Zu ihr durch zu dringen. Sie lässt sich scheinbar auf ein Gespräch ein, reißt sich dann blitzschnell den Verband vom Hals ab und versucht die Wunde wieder zu öffnen. 8 Menschen brauchen 15 Minuten, um sie mit 7 Gurten zu fixieren. Sie spuckt mir ins Gesicht, schreit. Es ist wirklich furchtbar. Für uns alle.
Dann sind alle draußen, nur sie und ich im Untersuchungsraum. Sie liegt fixiert im Bett, ich sitze auf einem Stuhl an der Türe. Wir sind beide zerzaust und außer Atem. Sie sagt, dass es ihr leid tut. Ich sage, dass es mir auch leid tut.

Eine Patientin weint, sie sieht ihren verstorbenen Mann nachts in einem Mobile, er sagt ihr, dass sie "es jetzt zurück kriegt". Dass sie jetzt büßen wird. Und alle Welt mit und wegen ihr. Sie sagt, ich solle mich doch umgucken, jeder hätte Angst vor ihr, jeder weiche ihr aus, verstecke sich vor ihr hinter einer Maske. Ich antworte, dass meine Maske eigentlich  zu ihrem Schutz da wäre. Sie erstarrt. Fragt, ob ich gefährlich sei, ob ich denn nun diejenige sei, die sie holen würde. Ich nehme die Maske ab. So geht das nicht. Nehme die Patientin auf. Begleite sie auf Station. Sie ist über 60 Jahre alt. Schmal, zerbrechlich. Am liebsten würde ich ihr den Arm um die Schultern legen. Ich lasse es.

Ein Patient kommt mit Kapuze auf, trägt die obligatorische Sonnenbrille auch im Untersuchungsraum, wie fast alle akut psychotischen jungen Männer. Trägt, wie vorgeschrieben, die Maske. Ich sehe nichts von ihm. Keine Mimik. Keine Regung. Er sagt, er brauche Hilfe. Er sehe hier aber keine Menschen. Glaube nicht, dass es eine gute Idee gewesen sei hierher zu kommen. Ich dringe nicht zu ihm durch. Kann die Verbindung nicht herstellen. Er ist mißtrauisch. Das gehört zum Krankheitsbild. Ich biete ihm an, ihn stationär aufzunehmen. Er gibt keine Antwort. Fragt nach langem Schweigen, ob ich für die Regierung arbeite. Ich nehme meine Maske ab. Zeige ihm meine Mitarbeiterkarte und mein Gesicht. Er schweigt lange. Sagt, er müsse nachdenken. Es wäre ihm nicht geheuer. Das alles. 

Ein Patient kommt mit seinem Bruder. Der Bruder sagt, der Patient esse nicht mehr und schlafe nicht mehr. Spreche nichts. Vor ein paar Jahren habe er auch so eine Phase gehabt. Habe sich dann plötzlich die Unterarme eröffnet, inklusive der Arterien. Ich frage den Patienten direkt, was damals der Auslöser gewesen sei. Er guckt an mir vorbei. Sagt, "Langeweile." - "Geht es Ihnen heute ähnlich", frage ich, "denken Sie darüber nach sich das Leben zu nehmen?" Er zuckt die Schultern. "Wie geht es Ihnen?" frage ich. Er sagt, es wäre ihm wieder sehr langweilig. Ich sehe nur seine Augen. Er guckt mich nicht an.
Es ist bizarr. Ich nehme ihn auf.

Den ganzen Tag geht das so weiter.
Um 20.30 Uhr gehe ich nach Hause.
Schlafen kann ich erst spät.

In den Wohnungen werden die Menschen verrückt.
Einige werden verrückt.
Gesund bleiben sollen wir.
Ich glaube, das gelingt nur wenigen.
"Bleiben Sie gesund!" ist die Parole. So wie "Fröhliche Weihnachten!".
Das hier ist wie 4 Wochen Weihnachten für viele unserer Patienten.
4x so schlimm.
Manche von ihnen wären sicherer, könnten wir sie sedieren und beatmen.

Morgen habe ich den 4. Dienst.
Ein gutes Gefühl habe ich nicht.

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