Im Sud


Um 5.18 Uhr sitzt das Kind im Bett und sagt "Badewanne, ich habe Lust."
Ich bin früh eingeschlafen, ich kann früh aufstehen. Lasse ihm die Badewanne ein. Helfe ihm in die Wanne. Meine Haare sind noch immer ein Gestrüpp. Ich sehe gar nichts ohne Kontaktlinsen. Das Wasser ist ihm zu kalt. Er möchte die Tiere haben. Ich hole die Kiste mit den Schleichtieren. Den Adler soll ich suchen. Ich sehe gar nichts. Das Wasser ist ihm zu warm. Wir finden den Adler. Ich soll doch bitte alle Tiere in die Wanne kippen. Er möchte die rote Badefarbe. Ich finde sie, nachdem ich die Dose mit den Badezusätzen auf den Kopf gestellt habe, blind wie ich bin. Ich muss Pipi. Er schreit "ein Käfer", in der Wanne schwimmt ein Flusel. Ich versuche, ohne Kontaktlinsen den blöden Flusel zu fangen. Es gelingt nicht. Dann doch.
Schnell aufs Klo.
Ich höre ihn rufen "Maaaaaama! Schon wieder, noch einer. Ein Käfer!".
Ich gucke verkniffen kurzsichtig auf die Uhr.
5.37 Uhr.
Fühle mich überwältigt vom heutigen Tag.

Und so bleibt es.
Frühstück machen. Mich anziehen. Kind anziehen. Meine Tasche packen. Seine Tasche packen. 
Los. 
Im Bus stehen, im Gedränge, Kind auf der Hüfte. Er will auf meinem Arm bleiben, ich trage ihn zur Kita. Heute geht das wieder.
Er sagt, heute soll ich weinen. Ich versteh nicht ganz. Er sagt, ich soll auf der Treppe im Kindergarten weinen. Also gut. Ich gucke so jämmerlich, wie ich mich ohnehin fühle. Er sagt liebevoll aber streng "Mama nicht weinen, das Krankenhaus ist lieb!".
Alles klar.
Rollentausch.
Finde ich super.
Das herrliche, wunderbare Kind.

Ich rufe die Ärztekammer an. Spreche mit einer strengen Ärztekammer Mitarbeiterin. Ich bitte um einen Termin. Plappere viel zu viel, vor Aufregung. Sie hört zu, streng. Das merke ich. Fragt, ob es sich um einen "Antrag zur Zulassung zur Facharztprüfung handelt". Ich lasse diesen Ausdruck im Kopf nachhallen, um ihn zu kapieren. Sage ja. Bin eingeschüchtert.
Sie zählt in einem Affentempo auf, was ich an Unterlagen mitbringen muss. Ich schreibe mit.
Sie wiederholt Datum und Uhrzeit zwei Mal. Ich bin sicher, das alles niemals vollständig und korrekt einreichen zu können, fühle mich wie eine Idiotin.
Möchte meinen Papa anrufen. Möchte, dass er mich da hin fährt in drei Wochen. Für mich zu dieser Frau geht. Das Sprechen übernimmt.
Ich bin von der deutschen Bürokratie der deutschen Ärztekammer überwältigt.

Beim Lehranalytiker weine ich.
Er sagt, "Sie sind heute eben bedürftig". Er hat Recht. Es ist gräßlich. Ich möchte so nicht sein. Ich kann derzeit so nicht sein. Es ist außerdem keiner da. Der.
Ich weine gleich noch ein bißchen mehr.
Warum eigentlich ist keiner da.
Selbstmitleid ist ein wohliger Sud.

Zuhause mache ich mir Zwetschkenknödel. Mit Pflaumen. Notgedrungen.
Das klappt nicht. Zu viel Teig um die unförmigen Dinger. Die Pflaume wird nicht weich genug.
Egal.
Die Bedürftigkeit will österreichisch essen.
Ich esse 5 Stück.
Dann will die Bedürftigkeit die Küche eben nicht aufräumen, sondern auf dem Küchenboden liegen und in den blauen Himmel gucken und Podcast hören.
Ich treibe im Sud umher.
Denke ein bißchen daran, dass Sport gut wäre.
Bleibe liegen.

Vor einem Jahr und 3 Tagen habe ich Pater C. zum letzten Mal gesehen.
Er fehlt mir.
Er fehlt mir sehr.
Ich wünschte. Dass.
Denke daran, wie wir uns immer an den Händen gehalten haben. Meine beiden Hände in seinen beiden Händen.
Manche Dinge hören nie auf zu sein. Werden nie Vergangenheit.

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