Immerhin der Himmel

Um 5 Uhr morgens setzt sich das herrliche Kind im Bett auf, heult sofort los "aufstehen, aufstehen", ist maximal übellaunig.
Um 5.04 Uhr sitzen wir in der Küche auf dem Boden und hören das erste Hörspiel. Das Kind versteckt unter einer Kuscheldecke. Er möchte keinen Kakao. Er möchte nicht, dass ich ihn angucke.
Kein Fieber.
Husten unverändert.
So schlecht gelaunt, wie man nur sein kann.
Der Kaffee läuft durch. Das Hörspiel kann ich auswendig. Mir ist langweilig, ich bin müde, bin jetzt schon angestrengt.
Ich sehe meine Küche von halb-unten. Sehe, wo ich schon lange nicht mehr geputzt habe. Sehe meine Hände an. Sie sind zerknittert. Sehe meinen linken Fuß. Ich bräuchte eine Pediküre.

Um 6 Uhr will das Kind doch Kakao, ich schenke mir eine zweite Tasse Kaffee ein. Dann möchte er baden. Ich nutze die Zeit, wasche mich, ziehe mich an. Räume die Wäsche weg, die nächste Maschine ein, den Geschirrspüler aus, koche Tee, mache die Betten, putze die Küchenschränke ab.

Und dann.
Sitzen wir wieder.
Auf dem Boden.
Das Kind versteckt unter dem Handtuch.
Das selbe Hörspiel.
Die Laune maximal schlecht.
Es ist kurz vor 7 Uhr.
Ich denke an Kambodscha. Koh Rong, vor 6 Jahren.
Wie unglaublich frei ich war.
Könnte weinen. Tue es nicht.
Mache eine Liste im Kopf, was ich heute unbedingt tun muss. Termine absagen. Rechnungen bezahlen.
Atmen. Durchhalten.

Der Mann meiner fürsorglichen Freundin C. ist angehender Kinderarzt. Er kommt gegen 9 Uhr vorbei. Hört das Kind ab. Ich kann nicht sagen, was mir das bedeutet. Bin unbeschreiblich dankbar für diese Unterstützung.
Ein paar Worte reden. Das Kind vorzeigen. Eine zweite Meinung hören. Eine Meinung, die Bedeutung hat.
Die Lunge ist frei.
Also nur eine hartnäckige Erkältung.
Ich bin erleichtert.
Abwarten also.
Auskurieren.
Zuhause bleiben.

Dann ist es kurz nach 9 Uhr. Es bleibt kompliziert.
Alle 5 Minuten ein neuer Grund zu weinen, wütend zu werden. Das Kind ist garstig.
Er raunzt, er heult, er schreit.
Er reißt an mir herum. Er bockt. Er strampelt.
Ich kann es ihm nicht Recht machen.
Unausgelastet ist er.
Unwohl fühlt er sich.
Ich bin hin und her gerissen. Was jetzt zu tun ist.
Streng sein oder Verständnis aufbringen?
Kindergarten oder Erholung?

Ich würde gerne drei Wochen Pause haben vom Mama sein.
Mein altes Leben zurück, mit meinem alten Lebensgefühl.
Diese Freiheit. Diese Überschaubarkeit.
Habe die Befürchtung, das hier hört nie mehr auf und ist nicht zu machen. Jedenfalls nicht gut.
Es ist mühsam und nervtötend, diese Tage mit dem kranken Kind. Diese unendliche Abfolge von Wutanfällen, Trotz, Kleinkindkleinlichkeit, Impulsdurchbrüchen.
Es ist so schwachsinnig. Jedes einzelne Drama ist in Wirklichkeit lichterloh unsinnig.
Und ist eine Verschwendung meiner Lebenszeit, meiner Energie. Ganz zu schweigen davon, dass meine Persönlichkeit nicht mehr vorkommt in diesem Drehbuch des Wahnsinns.
Jede Strategie, die ich anwende, führt nirgendwo hin.

Mittags schläft das Kind in meinem Arm ein. Ich habe mein Klinik Telefon geholt aus meinem Büro. Mit ihm. Er wollte nicht gehen. Bleiben wollte er auch nicht. Ich habe ihn weg getragen, zurück nach Hause. Den ganzen Weg hat er gebrüllt. Die Jacke war klatschnass, Rotz, Tränen, Speichel. Er wollte nicht im Garten sein, wollte nicht nach Hause. Wollte nicht in die Wohnung und nicht im Stiegenhaus bleiben.
Wollte. Nicht.

Irgendwann habe ich lachen müssen. Konnte gar nicht aufhören. Habe den hysterischen Unterton gehört und noch mehr lachen müssen.
Nach ca. 20 Minuten durfte ich ihn in den Arm nehmen. Und er ist eingeschlafen.
In Schuhen und Jacke.
Habe ihn ins Bett gelegt. Ausgezogen.
Mich daneben gelegt.
Was ist das hier?
Wie bin ich hier gelandet?

Atmen.
Vom Bett aus durch das Fenster in den hinteren Hinterhof schauen, in den Baum. In den blauen Himmel. Es ist frühlingshaft warm. Vielleicht föhnig. Vögel singen. Irgendein Gerät brummt freundlich. Jemand räumt irgendwo herum.
Es ist eindeutig Frühling. Heute zumindest.
Ich finde, genau im richtigen Moment.
Sehe mir den Frühling an.
Der Schlafzimmerfenster-Baum ist mindestens so unvorbereitet wie ich. Ist kahl. Wackelt.
Ich sage ihm, I feel you. Sage ihm, dass mir das Blühen auch abhanden gekommen ist.
Haben ja noch Zeit. Der blaue Fleck ist noch da, auf dem Daumennagel. Und es ist erst Jänner.

Aber immerhin der Himmel.
Das sehe ich, der Himmel kann sich was vorstellen.










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