Falling Out
Nachts hat das herrliche Kind Fieber.
Und wie man es auch dreht und wendet, auch heute ist es wieder mein Falling Out.
Der herzvolle Vater hat noch 5 Tage bis zur wichtigsten Prüfung seiner Ausbildung. Und muß ohnehin am Wochenende hier sein. Ich habe Samstag und Sonntag Dienst.
Und so.
Ist es.
Morgens alles absagen, verschieben, um Vertretung bitten.
Bin ein kleines bisschen routinierter dieses Mal. Es hilft auch zu wissen, dass ich beide Dienste machen werde. Beide Wochenend-Dienste.
Und dann haben das Kind und ich einen Tag zusammen.
Spielen zusammen, kochen zusammen, gucken Kinderfernsehen zusammen, malen und backen Brot zusammen. Nachmittags sind wir ein bißchen in unserem Hinterhof, im Gärtchen, rutschen 86 Mal. Draußen hat es 10°C. Trotz Grau und Feucht riecht es nach Zuversicht.
Und dann badet er und ich sitze auf dem kleinen Hocker daneben.
Kein Fieber mehr im Tagesverlauf.
Aber wieder Husten.
Vor allem aber ist heute ein extra Tag zusammen.
Gut so.
Morgen sehe ich wieder eine Patientin, die Zwillinge erwartet. Ein Kind leidet unter einem seltenen Gendefekt, einem sehr schwerwiegenden. Auch hier geht es um einen Wunsch der Patientin nach einem Fetozid. Die Schwangerschaft soll weit fortgeschritten sein.
Bevor mein Dienst startet, sehe ich sie. Versuche in 1 Stunde und 15 Minuten die Situation zu erfassen. Ihre Situation.
Es klingt vielleicht merkwürdig, weil diese Geschichten wirklich sehr große Pakete darstellen, die da in mein Innenleben gestellt werden, aber: Ich bin von dieser Arbeit, diesem Teil meines Faches angezogen. Ich bin dankbar dafür. Es komplettiert mein Wissen, es ist wichtig für mein Verständnis von peripartaler psychischer Gesundheit. Es macht mich klüger zu verstehen, was vorgeht in diesen Frauen, die so schmerzhafte Entscheidungen treffen müssen.
Und anwesend zu sein in Sitzungen der Ethikkommission ist eine Schule im Wechseln der Perspektive, im Beleuchten einzelner Aspekte. Und im Akzeptieren der Tatsache, dass mein Unzumutbar nichts zu tun hat mit dem Unzumutbar einer anderen Frau.
Mein kluger Lehranalytiker sagt, dass die letzte Patientin kognitiv vor allem verleugnen wollte, jemals das beeinträchtigte Kind im Bauch gehabt zu haben, und im Affekt so viel Scham und kaum Traurigkeit spürbar war, ist ein Hinweis darauf, wie ihr System ausgerichtet ist. Ihr seelisches System. Funktioniert stark über Stolz und Scham.
Traurigkeit ist ein möglicherweise abgewehrtes Gefühl, es ist jedenfalls nicht zentral.
Damit ist der Fetozid für ihre psychische Gesundheit wichtig, eventuell sogar richtig. Für diese Frau.
Nur. Für. Genau diese Frau.
Aber um die Frau geht es. Solange der Geburtsvorgang nicht begonnen hat, geht es um die Frau. Das Kind hat noch keinen rechtlichen Status.
Das ist so und daran halten wir uns und ob das richtig ist, kann ich nicht beurteilen. Problematisch ist es. Das Herz bricht es mir und auch den anderen. Und gleichzeitig geht es in der Frage um den späten Schwangerschaftsabbruch um Zumutbarkeit oder eben Unzumutbarkeit für die Frau. In ihrem System. Ihrer Psyche.
In dieser letzten Sitzung der Ethikkommission sagt jemand, dass diese Frau das beeinträchtigte Kind für sich schon lange verloren hat, schon lange jeden Bezug dazu verloren hat und ein Ablehnen des Eingriffs Mutter und Kind in einen Zustand der absoluten Verlorenheit und Verzweiflung stürzen würde. Er sagt, "so ein System schafft kein behindertes Kind". Warum auch immer. Das so ist. So gekommen ist.
An welcher Stelle auch immer das hätte verändert werden müssen.
Darum geht es nicht. Nicht in dieser Sitzung.
Es ist tragisch und es ist furchtbar und ich wünschte, das Kind würde woanders erwartet werden, trotz allem und vielleicht sogar deswegen mit der ganzen Liebe dieser Welt.
Das ist aber nicht so.
Und was ich mir wünsche, was ich aushalte oder nicht, was ich zumutbar finde - das ist nicht wichtig, weil es um die Frau geht, die es betrifft. Und um ihre Möglichkeit oder Unmöglichkeit.
Meine Aufgabe ist es, sie zu sehen und ihr zuzuhören. Und zu verstehen. Ihr System.
Morgen also wieder eine Geschichte. Eine andere.
Und dann Dienst.
Bis dahin kuscheln mit dem herrlichen Kind. In seinem Bett. Er liegt mit dem Kopf am Kopfende, ich mit dem Kopf am Fussende. Seine Beinchen liegen auf meinen Unterschenkel.
Ich liebe ihn in die Welt hinaus, vielleicht erreicht ein bißchen davon die verlorenen Kinder. Und ihre Mütter.
Und wie man es auch dreht und wendet, auch heute ist es wieder mein Falling Out.
Der herzvolle Vater hat noch 5 Tage bis zur wichtigsten Prüfung seiner Ausbildung. Und muß ohnehin am Wochenende hier sein. Ich habe Samstag und Sonntag Dienst.
Und so.
Ist es.
Morgens alles absagen, verschieben, um Vertretung bitten.
Bin ein kleines bisschen routinierter dieses Mal. Es hilft auch zu wissen, dass ich beide Dienste machen werde. Beide Wochenend-Dienste.
Und dann haben das Kind und ich einen Tag zusammen.
Spielen zusammen, kochen zusammen, gucken Kinderfernsehen zusammen, malen und backen Brot zusammen. Nachmittags sind wir ein bißchen in unserem Hinterhof, im Gärtchen, rutschen 86 Mal. Draußen hat es 10°C. Trotz Grau und Feucht riecht es nach Zuversicht.
Und dann badet er und ich sitze auf dem kleinen Hocker daneben.
Kein Fieber mehr im Tagesverlauf.
Aber wieder Husten.
Vor allem aber ist heute ein extra Tag zusammen.
Gut so.
Morgen sehe ich wieder eine Patientin, die Zwillinge erwartet. Ein Kind leidet unter einem seltenen Gendefekt, einem sehr schwerwiegenden. Auch hier geht es um einen Wunsch der Patientin nach einem Fetozid. Die Schwangerschaft soll weit fortgeschritten sein.
Bevor mein Dienst startet, sehe ich sie. Versuche in 1 Stunde und 15 Minuten die Situation zu erfassen. Ihre Situation.
Es klingt vielleicht merkwürdig, weil diese Geschichten wirklich sehr große Pakete darstellen, die da in mein Innenleben gestellt werden, aber: Ich bin von dieser Arbeit, diesem Teil meines Faches angezogen. Ich bin dankbar dafür. Es komplettiert mein Wissen, es ist wichtig für mein Verständnis von peripartaler psychischer Gesundheit. Es macht mich klüger zu verstehen, was vorgeht in diesen Frauen, die so schmerzhafte Entscheidungen treffen müssen.
Und anwesend zu sein in Sitzungen der Ethikkommission ist eine Schule im Wechseln der Perspektive, im Beleuchten einzelner Aspekte. Und im Akzeptieren der Tatsache, dass mein Unzumutbar nichts zu tun hat mit dem Unzumutbar einer anderen Frau.
Mein kluger Lehranalytiker sagt, dass die letzte Patientin kognitiv vor allem verleugnen wollte, jemals das beeinträchtigte Kind im Bauch gehabt zu haben, und im Affekt so viel Scham und kaum Traurigkeit spürbar war, ist ein Hinweis darauf, wie ihr System ausgerichtet ist. Ihr seelisches System. Funktioniert stark über Stolz und Scham.
Traurigkeit ist ein möglicherweise abgewehrtes Gefühl, es ist jedenfalls nicht zentral.
Damit ist der Fetozid für ihre psychische Gesundheit wichtig, eventuell sogar richtig. Für diese Frau.
Nur. Für. Genau diese Frau.
Aber um die Frau geht es. Solange der Geburtsvorgang nicht begonnen hat, geht es um die Frau. Das Kind hat noch keinen rechtlichen Status.
Das ist so und daran halten wir uns und ob das richtig ist, kann ich nicht beurteilen. Problematisch ist es. Das Herz bricht es mir und auch den anderen. Und gleichzeitig geht es in der Frage um den späten Schwangerschaftsabbruch um Zumutbarkeit oder eben Unzumutbarkeit für die Frau. In ihrem System. Ihrer Psyche.
In dieser letzten Sitzung der Ethikkommission sagt jemand, dass diese Frau das beeinträchtigte Kind für sich schon lange verloren hat, schon lange jeden Bezug dazu verloren hat und ein Ablehnen des Eingriffs Mutter und Kind in einen Zustand der absoluten Verlorenheit und Verzweiflung stürzen würde. Er sagt, "so ein System schafft kein behindertes Kind". Warum auch immer. Das so ist. So gekommen ist.
An welcher Stelle auch immer das hätte verändert werden müssen.
Darum geht es nicht. Nicht in dieser Sitzung.
Es ist tragisch und es ist furchtbar und ich wünschte, das Kind würde woanders erwartet werden, trotz allem und vielleicht sogar deswegen mit der ganzen Liebe dieser Welt.
Das ist aber nicht so.
Und was ich mir wünsche, was ich aushalte oder nicht, was ich zumutbar finde - das ist nicht wichtig, weil es um die Frau geht, die es betrifft. Und um ihre Möglichkeit oder Unmöglichkeit.
Meine Aufgabe ist es, sie zu sehen und ihr zuzuhören. Und zu verstehen. Ihr System.
Morgen also wieder eine Geschichte. Eine andere.
Und dann Dienst.
Bis dahin kuscheln mit dem herrlichen Kind. In seinem Bett. Er liegt mit dem Kopf am Kopfende, ich mit dem Kopf am Fussende. Seine Beinchen liegen auf meinen Unterschenkel.
Ich liebe ihn in die Welt hinaus, vielleicht erreicht ein bißchen davon die verlorenen Kinder. Und ihre Mütter.