Das Ende der Welt

Die Besprechung morgens verläuft gut.
D., der Hintergrund Oberarzt bittet mich kurz zu schildern, was passiert ist. Tut es nicht selbst. Als wüsste er, dass es mir gut täte, darüber zu sprechen. Ich erzähle. Alle hören zu.
In einer Woche wird eine Suizidkonferenz stattfinden.
Ich fühle mich besser.
Es hat Raum bekommen.
Ich konnte es teilen.

Am Vormittag bin ich bei einer Kollegin, die im Grunde viel zu gutherzig und fürsorglich für dieses Haus ist. Wir sind befreundet, ich hatte lange keine Zeit mehr für unsere Freundschaft. Sie ist Psychologin, Therapeutin. Kennt sich aus mit Trauma Therapie. Ich habe ihr von diesem Bild erzählt, dass ich vorne im Kopf mit mir herum trage.
Sie arbeitet mit EMDR, einer Methode um Erlebnisse, ob traumatisch oder einfach nur schrecklich, besser verarbeiten zu können. Insbesondere dann, wenn einzelne  Bilder oder Emotionen eingefroren im Kopf entstanden sind.
Eine Sitzung also.
Für mich.
Und das Bild-minus-jegliche-Emotion.

Es funktioniert erstaunlich gut. Und schnell.
Ich werde innerhalb von Minuten ruhiger.
Und dann. Eine Assoziation.
Die mich überrascht. Überrumpelt.
Erlebe plötzlich die letzten Minuten vor dem Schwangerschaftsabbruch. Ich, in diesem gynäkologischen OP, festgeschnallt. Alles vorbereitet, Propofol intravenös.
Und plötzlich ist ganz viel Gefühl da, ist ganz viel Entsetzen, Hoffnungslosigkeit und Traurigkeit da.
"Eine Affektbrücke", sagt R.
Eine Verbindung in mir, von einem Entsetzen zum nächsten.
Eine Ähnlichkeit der Situationen. Zumindest in meinem Erleben.
"Deshalb das eingefrorene Bild und keine dir zugängliche Emotion" sagt R.

Ich denke einen Moment nach. Über die Verbindung. Bin sehr überrascht.
Muss dann doch nicht lange nachdenken.
"Es ist das Ende der Welt, so sieht das Ende der Welt aus", sage ich zu R.
So und so sieht das Ende der Welt aus. Festgeschnallt für einen Schwangerschaftsabbruch und aufgehangen in einer Dusche.

In beiden Fällen.
Ist es zu spät.
Ist nichts mehr zu retten.
Gibt es keine Hoffnung. Nur ein Ende von.
Eine Vernichtung.

R. sagt, "es haben beide Bilder Platz in dieser Sitzung heute".
Also bleibe ich dran.
An dem Gefühl, dass alles verloren ist. An der bodenlosen Traurigkeit. An der Hoffnungslosigkeit, weil alles aufgegeben ist, untergeht.

Am Ende bin ich sehr erschöpft.
Und ruhig.
Und beide Bilder sind weit weg. Nicht ganz weg.
Ich könnte.
Wenn ich mich anstrengen würde.
Ich kann es aber auch gut sein lassen im Kopf. R. sagt, "lass es gut sein und schlaf erstmal ein paar Nächte darüber".

Am Nachmittag denke ich nicht ein einziges Mal daran.
An keines der Bilder.
Und fühle mich gut.
Leicht.

Freue mich sehr, zu meinem herrlichen Kind und dem herzvollen Vater nach Hause zu kommen.
Beide haben beste Laune.
Wir essen zusammen. Das Kind plappert und singt ununterbrochen. Der Abend verläuft entspannt, harmonisch.

Ich denke ein bißchen an Gott, als das herrliche Kind eingeschlafen ist. Und dann noch lange an Pater C. Sage ihm, dass ich in der Liebe bleibe, so wie er es mir geraten hat. Sage ihm heute, dass ich weiß, wie es jenseits der Liebe aussieht. Nämlich blauviolett. Und wie in einem Gyn-OP.
Und dass ich es geschafft habe, zurück zu finden.
Gott sei Dank, sage ich.
Der Liebe sei Dank.

Und dann schreibe ich R., dass sie im Grunde zu gut und zu fürsorglich ist für diesen Laden und sie bitte bald auf ein Glas Wein vorbei kommen soll.

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