Fragen und sich erreichen


Dieser Wind. Die ganze Zeit geht der Wind hier.
Immer sehr stark.
Manchmal noch stärker, in Böen.
Er bläst und treibt und heult und rauscht.
Wie Meeresrauschen. Nur unregelmäßig.
Immer Bewegung und Unruhe in der Luft.

Es ist schön mit der Familie.
Die schöne Godi, mein Bruder, ihre Jungs, meine fein gewebte Schwester. Wir sind miteinander so vertraut, knüpfen an aneinander wie zuletzt. Mühelos.
Der herzvolle Vater und das große Kind gehören dazu. Es ist gut.
Bewegen uns selbstverständlich miteinander. Die selbe Sprache. Das Rudel.

Zum ersten Mal treffen wir uns hier. Mein Vater baut sich etwas auf, gemeinsam mit seiner Partnerin. Dieses Hotel. Ihr gemeinsames Projekt.
Wir sind Gäste, sind eingeladen, werden verwöhnt. Alles ist da und alles ist für uns Kinder zugänglich.
Es ist etwas ganz anderes.
Ein Neuanfang für die Beiden.
Wir sind Besuch.
Nicht Teil davon.
Irgendwann werde ich mein herrliches Kind irgendwo besuchen und nicht mehr Teil davon sein.
Vielleicht wird das ähnlich. Ein Gefühl ähnlich dem jetzt, in Spiegelschrift, vorwärts gespiegelt, auf mein Kind.

Hier bin ich nicht zu Hause.
Ich besuche meinen Vater und sehe mich um, höre zu. Fühle mich ein.
Von außen.
Zum ersten Mal.
Weiß nicht, wo sein Büro ist. Was er frühstückt. Mit wem er zu tun hat und was.
Wie er seinen Tag organisiert.
Weiß nicht, wie der Neuanfang im Detail aussieht.
Zuhause weiß ich. Im Großen und Ganzen. Weiß es auch im Kleinen und Halben.
Von innen.
Die andere Stadt ist mein Zuhause. Unser Zuhause.
Unser gemeinsamer Kontext.
Ich sehe meinen Vater hier von außen.
Denke von außen über ihn nach.
Nicht wie sein Kind, zumindest nicht mehr nur wie seine Tochter.

Ich denke über ihn nach wie ich es gelernt habe in den letzten Jahren.
Und wünsche mir plötzlich, ich könnte so fragen.
Wie in meinem Beruf.
In meinem Beruf darf ich alles, alles fragen, was mich interessiert, was mir wichtig erscheint, was ich noch nicht weiß. Das ist vermutlich der beste Aspekt daran. Das Fragen. Und dann das Zuhören. Die Geschichte zu hören aus erster Hand, von demjenigen, der sie am besten kennt. Die Geschichte zu spüren im Raum. Oder die Geschichte eben nicht zu hören, klar und deutlich in der Stille im Raum. 

Ich wünsche mir, meinen Vater zu fragen.
Um zu begreifen. Aus erster Hand.
Zuhause, in unserem Zusammenhang, stelle ich kaum Fragen.
Meine Stiefmutter, die so mutig war, in das ihr völlig Fremde hier zu kommen, sagt, "wir wissen so wenig, was wir voneinander erwarten in nahen Beziehungen."
Das stimmt.
Weil wir davon ausgehen.
Dass.
Immer von uns ausgehen.
Nicht unbedingt ankommen beim Anderen.
Aneinander hängen, auch wenn wir uns nicht erreichen. Uns nahe stehen, auch wenn wir nichts verstanden haben voneinander.
Und es fällt nicht auf, weil wir so verbunden sind.

Fällt erst auf, wenn einer fort ist.
Und dann bleibt man zurück, mit dem was man nie gefragt hat und nie wissen wird. Ein bißchen wie der Wind hier. Böig, ziellos, getrieben.

Ich werde meine Fragen aufschreiben.
Werde mir von meinem Vater wünschen, dass er mir 5 x 50 Minuten schenkt, in denen ich frage und ihm beim Reden zuhöre.
So wie ich es selbstverständlich tue jeden Tag mit meinen Patienten.
Fragen, zuhören, verstehen.
Und noch nie so konkret und klar gemacht habe bei meinem Vater.

Hier denke ich über ihn nach.
Und interesse mich. Für wirklich ihn.
Und bin dankbar, dass ich fragen kann.
Anders als bei Pater C., der fort war, bevor mir klar geworden ist, dass ich nie gefragt habe, nie von außen. Ihn nie ohne mich in der Gleichung verstanden habe, ihn also nur um mich herum gekannt habe.

Was bedeutet Zuhause für dich, werde ich meinen Vater fragen.
Das zuerst.

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