Totensonntag


Totensonntag ist heute.
Wie schön das klingt.
Eine Woche vor Allerseelen. Was auch schön klingt, aber auch irgendwie daran vorbei klingt.
Seelen.
Alle Seelen - das ist undeutlich, verklärt.
Wenn es darum geht, dass jemand tot ist, der vorher am Leben war. Im Leben wichtig war.
Und jetzt für immer tot ist.

Ich schreibe Briefe, seit ich schreiben kann an einen Menschen, der jetzt tot ist, bis Februar diesen Jahres aber war er am Leben. War wichtig in meinem Leben. War mein Anker und mein Echo, mein dritter Elternteil, in meiner Kindheit, bis heute.
Und heute schreibe ich ihm auch.

Lieber Pater C.
Du bist am letzten Sonntag im Februar gestorben, morgens um 5.00 Uhr. Ein Frühlingstag, sonnig, warm. Ich bin um 5.00 Uhr vom herrlichen Kind geweckt worden.
Ich habe es nicht gespürt.
Später habe ich es erfahren.
Ein paar Sekunden habe ich die Worte im Kopf gedreht.
Ein Moment Herzrasen.
Dann eine Pause in mir, ein sorgfältiges Wegschieben des Wortes Tod von Deiner Person, ohnehin eine Absurdität diese Kombination, eine Unvorstellbarkeit.
Ich bleibe nahe bei Dir, innerlich.
Ohne das. Nicht das.

Dann eine lange Zugfahrt zu Deiner Beisetzung.
Der absurde Gedanke, dass diese Beisetzung Gott sei Dank nicht ohne Dich stattfindet - das hätte ich nicht geschafft. Eine Messe in Deiner Kirche, unserer Kirche, noch einmal mit Dir. Nur so war das überhaupt auszuhalten. Zusammen. Du warst da.
Und auszuhalten war es kaum.

Das ist nun also das Danach.
Das ist jetzt mein Abschied seither.
Seit Februar.
Nicht mehr Deiner.
Du bist an diesem wunderbaren Sonntagmorgen in den Frühling hinaus. Leicht, haben sie gesagt.

All meine Kinderliebe, meine Kinderfreude, mein Kindervertrauen, alle Verbundenheit für Dich.

Jeder sagt, er hätte Dich am Besten gekannt, Dir am Nächsten gestanden, wäre Deine Familie gewesen.
Ich auch.
Ich nicht.
Du warst kerneinsam. Du warst randvoll mit Leben, Kraft, mit Liebe.
Zu Hause warst Du nicht. Schon lange nicht mehr.
In der Liebe warst Du. Hast mir gesagt, ich solle jeden Tag darauf achten, auf die Liebe, in der Liebe Gottes bleiben, dann könne mir nichts passieren.
Vielleicht waren wir Dein "hätte sein können".
Du bist mein "deswegen".

All meine sonnenwarme, feinklimpernde, grenzenlose Kinderliebe, all meine grasfleckige, zartböige Kinderfreude von meinem Ast im Baum, all mein felsenstarkes, schneckenhausgewundenes Kindervertrauen, alle Verbundenheit für Dich.

Wir sehen uns zuletzt 24 Tage vor Deinem Tod. Im Krankenhaus.
Wir wissen beide.
Dass.
Es ist schwierig, sich zu begrüßen, wenn man zum Abschied zusammen kommt. Sind hilflos, beide aufgelöst.
Du erzählst von Deinem Buch, das du gerade liest, und schluchzt dabei. 
Erzählst von der Barmherzigkeit. 
Dass jeder dann doch nach Hause kommt zu Gott. Du ringst Dir Fassung ab. Meine Hand liegt auf Deiner. Du lächelst, damit ich Dich nicht tröste.
Auf meinem Schoß schläft das herrliche Kind.
Ich frage, als es Zeit wird zu gehen, ob ich Dich wieder sehe.
Du sagst, es kommt immer ein Sommer.
Wir wissen beide.
Dass.

Abschied gelingt beim Verabschieden.
Ich kann Dir sagen, was ich sagen wollte.
Du kannst das auch, das merke ich.
Es ist nie zu Ende gesagt.
Du umarmst mich und wir bleiben in der Türe stehen, in der Umarmung. Das herrliche Kind schläft auf meinem Arm.
Was bleibt ist das, was immer war.
In der Liebe bleiben.
Dein Abschied.
Für mich gibt es keinen Abschied. Nicht von Dir. Nicht für das, was Du mir bist.

All meine Liebe, all meine Freude, all mein Vertrauen, alle Verbundenheit für Dich.

Beliebte Posts aus diesem Blog

Klar kommen

In der Liebe bleiben

Das Leben einer Königin