Ich bin wieder zu ihm


Ich bin wieder zu ihm ins Bett umgezogen, gestern Nacht. Er hatte gerufen. Aber dieses Mal habe ich mich bequemer hingelegt. Der Länge nach, quasi hochkant, am Bettgestell.

Um 6 Uhr morgens wache ich auf. Bin müde. Im Bad dudelt das Radio. Damit ich aufwache, nicht aber das Kind.
Das herrliche Kind schläft und ich höre ihm dabei zu und sehe dem Tag zu, wie er hinter dem Baum vor dem Fenster von einer Idee zu einer Tatsache wird. Erst dann. Koche ich Kaffee.

Den herzvollen Vater hatte ich gebeten um allerspätestens 20 Minuten vor 8 Uhr hier zu sein. Um ihm noch alles zu zeigen. Windeln. Schnuller. Wechselkleidung. Weil ich heute Dienst habe, 12 Stunden. Und er und das Kind ab Mittag zusammen sind, eben auch hier, irgendwann. Zum Baden, Essen, Schlafen.
Er kommt um 10 vor 8 Uhr und sagt mir, dass er sowieso nicht hierher kommen kann. Dass er einen Techniker Termin vereinbart hat. Zwischen 15 und 20 Uhr. Das Internet.
Ginge nicht.
Das brauche er.
Ich frage, ob im schlimmsten Fall dann das Kind bis 20 Uhr bei ihm sein soll, wach, bis 20.30 Uhr in Wirklichkeit oder 21 Uhr. Ich muss ja noch eine Übergabe machen. Und dann zu ihm fahren.
Ob ich denn im schlimmsten Fall das Kind erst um 21 Uhr bei ihm abholen kann, wach. Und nach Hause bringen. Und dann erst um halb 10 Uhr nachts ins Bett bringen kann?
"Ja, ist leider blöd", sagt er. Sagt auch, er habe keine Windeln, keine Flasche, keine Sachen. Nichts.
Ob ich noch schnell.
Eine Tasche packen könne.
Es ist 7.54 Uhr und ich packe schnell zusammen, ziehe schnell dem Kind Jacke und Schuhe an, küsse es 12 Mal in seine Löckchen, schnell. Dann gehen wir zusammen los und ab der Ecke laufe ich. Renne.
Mein Herz klopft.

Vereinbart war. Wenn ich Dienst habe. Ist er ganz für das herrliche Kind da. Gewährleistet den Rhythmus, die Konstanz. Nimmt sich Zeit. Ist ganz da.
Mein Herz klopft im Unterkiefer, Zähne fest zusammen gebissen.
Heute. Ist das Kind nicht gut versorgt.
Versorgt wird das WLAN.
Erst dann das Kind.
Ich bin hilflos mit meiner Wut und meinem Dienstplan.

Bleibe unruhig. Das ist nicht gut. Geht so nicht. Beschließe schließlich früher zu gehen. Muss früher gehen. Heute ist Tag 5 in der neuen Situation, im "Hause" wie das Kind sagt, der Rhythmus gibt Halt und darf nicht jetzt geändert werden.
Es kommen viele Patienten.
Ich bin vor Erschöpfung ganz taub.
Bin nur halb da.
Habe Herzstolpern, weil das Kind heute nicht gut versorgt ist. Gefühlt.
Weiß ja eigentlich, dass 2 Stunden auf oder ab egal sind. Egal sein können. Nicht vital bedrohlich sein können. Weiß ich doch. Und doch. Steht heute das WLAN an erster Stelle und darüber stolpert das Herz.

Ich sage "ein Notfall in der Familie", gehe 2 Stunden eher aus dem Dienst. Noch nie vorher habe ich das gemacht. Werde das nie wieder machen. Meine Verantwortung. Nicht übernehmen.
Ich renne zum Bus, nehme den falschen.  Bin woanders, muss mit dem Elektroroller durch den Regen fahren, bin sehr nass und klamm. Werde wiedereinmal niemandem gerecht. Schon gar nicht mir.

Doch dann fahren wir zusammen im überfüllten Bus nach Hause. Mein wunderbarer Junge sitzt auf meinem Schoß, angekuschelt, wir gucken aus dem Fenster, Leute drängeln rein und raus. Gewusel.
Da sagt jemand meinen Namen und ich brauche 2 Sekunden bis ich ihn erkenne. Den Maresi Papa vom Spielplatz. Den sympathischen. Ich sehe wieder unmöglich aus. Nass und abgehetzt. Aber heute kann ich sprechen. Wir reden. Er erwähnt "die Mutter von" dem feenzauberhaften Mädchen. Ich sage, dass ich das Kind "von seinem Vater" abgeholt habe.
Alles klar.
Ähnliche Vorraussetzungen.
Er sagt bevor er aussteigt, dass sie sonntags wieder auf den Spielplatz gehen. Ich antworte, "wir auch". Das herrliche Kind sagt "Monster Papa".
Wir haben jemanden kennengelernt.
Ein erster Bekannter.
Ich merke, dass ich mich gefreut habe. Über die Begegnung.
Freue mich auf Sonntag.
Werde mir fix die Haare waschen vorher.

Als das herrliche Kind in seinem Bett eingeschlafen ist, ziehe ich mir meinen riesigen türkisen Flauschbademantel an, knöchellang, eher ein Einfamilienhaus als ein Bademantel. Ein Traum. Und ich räume heute nichts auf. Lasse alles so.
Mache mir Käsebrote. Beiße in den Rest vom Kuchen, ohne mir ein Stück abzuschneiden. Das muss ich nicht. Ich darf in den Kuchen beißen, wie ich will.
Setze mich in mein Bett, nächster Versuch, und esse und bin "Hause".

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