Wir riechen beide säuerlich

In meinem Arm liegt das herrliche Kind und schläft. Wir riechen beide ein bißchen säuerlich, nach alles-durcheinander-gegessen und 2-Flaschen-Milch-getrunken und natürlich-alles-erbrochen. Auf dem Flur ist eine riesige Pfütze mit Abendessen Stückchen drin. Ich erkenne mittlerweile sein mir-ist-schlecht-weinen, wollte das Badezimmer noch erreichen.
Der arme kleine Bär.
Ich schäme mich, dass ich ihn nicht abgehalten habe vom Durcheinander-Essen. Ich habe gedacht, na gut. Dachte, er weiß bestimmt am Besten worauf er Lust hat.
Er ist 2 Jahre alt.
Natürlich weiß er es nicht am Besten.
Heute habe ich die Linie nicht so klar vorgeben. War nicht ausreichend auf Zack als Mama. War zu beschäftigt mit mir. In mir verwurschtelt.

Morgens hat alles so gut geklappt. Ich war gelassen und entspannt, weil Zeitausgleich, freier Montag. Der herzvolle Vater war schon um 7.00 Uhr weg, das herrliche Kind und ich haben Hörspiel gehört und gekuschelt, haben lange gefrühstückt. Zähne putzen und anziehen war fast kein Problem. Das Abgeben in der Kita morgens nur ein kleines.
Danach mein freier Tag.
Ein zweiter Kaffee, dann eine Massage. Kurzurlaub.
Und dann 2 Stunden putzen, Wäsche machen, vorkochen, aufräumen.
Und dann hat mich der herzvolle Vater gebeten, ihm zu helfen. Zeugs in seine neue Wohnung zu schaffen. Ich war verwundert, schwer war die Tasche nicht, Hilfe beim Tragen eigentlich nicht notwendig.
Dachte dann, er will mir die Wohnung zeigen. Den Fortschritt dort. Es geht nicht um die Tasche mit Krams. Es geht um die Wohnung und was er dort schon geschafft hat.
Und so war es auch. Er wollte mir zeigen wie es aussieht. Mittlerweile.
Es sieht schön aus.
Indirekte Beleuchtung hat er in Handarbeit installiert. Teilweise schon die Möbel aufgebaut. Die Wohnung ist schön und unfassbar geräumig.
Ich bin beeindruckt, wie stimmig er einrichtet.
Das macht es sehr real. Dass wir auseinander ziehen. Nicht mehr zusammen sind. Jedenfalls nicht als Paar. Das ist Seines. Ich erkenne die Dinge. Sie sind jetzt seine, nicht mehr unsere. Ich habe dort in dieser Wohnung plötzlich das Gefühl, mich hinsetzen zu müssen. Bin so müde auf einmal. So standunsicher. Setze mich auf den Boden, noch sind keine Stühle da.

Sage, vielleicht hätten wir. Von Anfang an. Anders wohnen sollen. Anders mit dem Geld umgehen, mit den Schulden. Hätten wir alles anders gemacht, wäre vielleicht. Weiß doch, das alleine war es nicht.

Dann frage ich, ob er einen Kinder-Tisch vom herrlichen Kind haben möchte. Damit das Kind hier malen kann.
Er sagt, "das wird ein Paradies hier für ihn; er darf alles benutzen; ich baue ihm einen Tisch hier neben meinem Schreibtisch."
Gut ist es, das zu hören. Bin gleichzeitig luftleer, weil ich erinnere, was er beim letzten Mal gesagt hat, der Vater. Als ich zuletzt hier war. Kein Kinderzimmer. Es scheint sich zu relativieren. Klingt heute ganz anders. Viel besser.
Ich bleibe sitzen.
Genau in diesem Moment ist es wieder so fatal, wieder Kontakt zum Fatalen. Der ungenauen, unvollständigen Kommunikation. Einmal so, einmal anders. Immer ohne die Möglichkeit, etwas aufzugreifen. Ohne Anknüpfpunkt. Immer ein Fragment.
Ich sitze und bin abwesend. Unkonzentriert.
Der herzvolle Vater sagt auch, "hoffentlich schaden wir ihm nicht - jetzt, hiermit."
Ich antworte, "wir bleiben Familie, er bleibt bei uns in Sicherheit".
Bin ganz klein und müde. Hoffe, ich habe Recht. Hoffe, wir schaden ihm nicht. Hoffe, ich schade ihm nicht. Dem herrlichen Kind.
Der Vater sagt, "ich baue dir auch so eine Beleuchtung, das ist super".
Ich sage, "gut". Gut. Eine Beleuchtung. Das klingt gut.

Ich bin merkwürdig offen gelegt. Fahre mit dem Fahrrad zu meiner neuen Hausverwaltung. Dort habe ich einen Termin um meinen neuen Mietvertrag zu unterschreiben. Würde gerne eine Freundin anrufen, könnte weinen, lasse es. Die Wimperntusche, der Termin. Es ist doch die neue Hausverwaltung. Möchte einen sortierten Eindruck machen.

Ich unterschreibe. Bin nach 3 Minuten fertig dort. So unbesonders ist es also. Eine Unterschrift, ein weiterer Schritt.
Fahre ganz taub zurück.
Denke, ich bin gescheitert.
Denke, ich bin jenseits der Mitte 30, ich bin Mutter, Single irgendwie, ich bin gescheitert.
Denke, ich verstehe gerade besser, warum man sich das Scheitern als Zustand ersparen will. Es ist unspektakulär, es brennt, es wischt alles Besondere weg und alle großen Gefühle. Es ist gemein und mickrig.
Jetzt könnte ich gar nicht mehr weinen und schon gar nicht telefonieren.
Mickrig fühle ich mich.

Vor der Kita im Cafe sitzt unser Nachbar in der Sonne. Er ist Musiker, Komponist, Pianist. Sein Flügel steht genau ein Zimmer höher, genau über meinem Bett. Liege abends unter dem Klavier und er spielt und mein Fell glättet sich.
Wir sind Freunde. Er weiß Bescheid. Schon lange. Weiß im Grunde schon von Anfang an, wo ich verschütt gegangen bin.
Er sitzt da, der kluge, feingestimmte, liebevolle Nachbar und gibt  mir eine Zigarette.
Ich erzähle kurz. Von heute. Sage, "ich habe solche Angst das Kind zu vermurksen, mit dieser Trennung." Er sagt, "ohne Trennung hättet ihr es vermurkst, Kinder spüren das Unechte, spüren Lieblosigkeit".
Sagt es ohne zu zögern.
Sagt, "ihr seid Familie, das reicht".

Und jetzt liege ich im Bett. Rieche säuerlich. Bin abgeräumt innerlich. Greife zurück auf einen billigen Achtsamkeits-Trick: 3 gute Dinge benennen, jeden Tag. Heute:
1. der unterschriebene Mietvertrag fürs Hinterhof Hexenhaus.
2. die Zigarette mit dem liebevollen Nachbar.
3. das herrliche Kind auf dem Nachhauseweg: er war auf meinem Arm, hat seine Arme um meinen Hals geschlungen und sein Gesicht an meines gelegt und "Mama da!" gesagt.








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