Morgens scheint die Sonne

Morgens scheint die Sonne, ein Herbsttag wie aus dem Bilderbuch.
Ich wache müde auf, körpermüde, habe Kreislauf und Hormone. Das herrliche Kind ist auch müde und übellaunig.
Gestern und vorgestern Nacht hat das Kind zwischen 1 und 2 Uhr morgens beinahe eine Stunde nicht geschlafen, hat geraunzt, war unruhig. Hat ein bißchen geweint. Halbwach. Hat mich ganz wach gehalten.
Diese Nächte. Die sind gerade zu viel verlangt.

Ich mache heute alles langsamer. Schnell ist heute zu viel verlangt.
Gehe zu Mittag zur Selbsterfahrung. Fühle mich schon die ganze Woche und heute besonders so neben mir, mit einem Bein außerhalb.
Hänge zwischen halben Gedanken und vielen Erinnerungen.
Dieser Umzug.
Erinnert mich.
Wie jeder Umzug.
An das blaue Haus, unser altes Haus.
Aus dem wir ausgezogen sind, als ich 10 Jahre alt war. Überraschend ausgezogen sind. Ohne Vorwarnung.
Jeder Umzug seither fühlt sich ähnlich an.
Nach "hier kann ich nicht bleiben".
Als ob.
Ich seither nur noch vorübergehend, provisorisch wohnen könnte.

Ich muss an das denken, was mir vor einigen Jahren ein Patient erzählt hat: Shamanen gehen davon aus, dass seelische und körperliche Krankheiten entstehen, weil Teile der Seele verloren gehen. Irgendwo. An Orten. In alten Zeiten. In Beziehungen. Der Shamane findet den verlorenen Teil während oder durch seinen Ritus und bringt ihn zurück. Macht den Menschen wieder ganz. Heilt ihn so.

Wenn jetzt ein Shamane suchen würde, was irgendwo zurück geblieben ist - was wäre das dann. Fragt der Analytiker. Was brauche ich zurück. Welchen Teil.
Ich denke nach.
Denke unscharf.
Denke daran vorbei.
An die Rosenhecke zwischen Garten und Terrasse. An den bodenlangen Store vor der Terrassentür, den der Wind mit einem kleinen Geräusch über den Holzboden geschoben hat. An die Trauerweide. An die Ameisen unter den Terassensteinen.
Denke an Chopin. Und selbstgebackenes Brot. Denke an grünen Lack, der von dem kleinen Türchen zur Mülltonne abblättert.
Was ist das.
Das alles. Zusammengefasst.
Zuhause, sagt der Analytiker.

Ich klebe die Leisten ab, die Steckdosen, den Türrahmen im demnächst-Zimmer vom herrlichen Kind.
Schleife den Esstisch ab, lackieren ihn neu.
Kaufe gebraucht Herd und Kühlschrank beim Elektro-Gebrauchtwaren-Händler meines Vertrauens.

Zuhause.
Mein verlorener Baustein.
Ich denke so nahe dran, wie ich nur kann. Dort hin. Daran. 
Es ist gar nicht leicht.
Frage mich, wo er fehlt, der Baustein.
Das ist leicht.
Direkt hinter meinem Brustbein.
Ein bißchen im Oberbauch.

Jetzt liege ich im Bett und lege die Hand auf mein Brustbein, halb auf den Oberbauch.
Ein Hinweis wäre hilfreich. Wo danach suchen. Wie finden. Den Baustein.
Ich bin müde heute.
Müde und sehr, sehr alt.






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