Dienst Samstag

Mein Fräulein Ahorn schickt mir  Sprachnachrichten. Endlich wieder. Erzählt von früher, von der Schule. Wir waren in der selben Schule. Und ich muss so lachen. Weil es so stimmt. Wie sie alles beschreibt. Ich kann die Turnhalle riechen, so genau erinnert sie sich. Und mich.
Kaum jemand kann so gut erzählen.
Ich liebe diese Sprachnachrichten. Unser Hörbuch.
Wenn ich sie länger nicht höre, fehlt mir etwas. Sie. Sie fehlt mir dann.
Wir kommen aus dem selben Stückchen Heimat, örtlich und biographisch, so vieles ähnlich. Kennen uns dadurch seit immer. Irgendwie. Das tut mir gut.

Heute wieder Dienst.
Ein langer Samstag-Dienst.
Der Abschied vom herrlichen Kind war weniger dramatisch heute. Ich habe versucht, mich innerlich anders zu positionieren. Eine andere Haltung anzunehmen. Fröhlich, handfest.

In der Klinik angekommen, fehlt er mir. Sehr. Ich will nicht hier sein. Ich möchte mit dem herrlichen Kind vor dem Haus Feuerwehrautos und Dinosaurier mit Straßenkreide auf den Asphalt malen. Und mit ihm einen Mittagsschlaf machen. Ich will hören, was er mir erzählt.
Die richtige Truppe ist die halbe Miete im Dienst. Heute ist die Truppe okay.
Das herrliche Kind wäre richtiger. Am richtigsten.
Ich will einfach nicht hier sein.

Es ist 21.30, Dienstschluss war vor eineinhalb Stunden. Das letzte Gespräch hatte es in sich. Der ganze Dienst war eine Orgie an fremdaggressiven, psychotischen Patienten und notwendigen Isolierungen, Fixierungen, Unterbringungen. Verstörend und anstrengend.
Aber das letzte Gespräch hat mich richtig betroffen gemacht.
Eine Frau in meinem Alter mit einem wenige Wochen alten Kind und schwerem Geburtstrauma. Physisch und psychisch.
In einer Verzweiflung. Mit dem Baby auf dem Arm.
Die Frage, ob sie in ihrem Zustand nach Hause gehen kann, war nicht einfach zu beantworten. Ich entscheide, sie kann. In der kommenden Woche muss Hilfe auf den Weg gebracht werden.
Muss.
Grenzwertig geht es ihr.
Ich bin auf dem Heimweg. Mein Kopf ist voll. Im Bus wird mir übel, ich muss aussteigen, eine Station früher. Muss gehen, an der frischen Luft. Schlecht ist mir.
Zu Hause esse ich. Trinke Tee. Mir ist immer noch schlecht. Unverdaulich. Diese Dienste.

Im Bett dreht sich das herrliche Kind zu mir, streckt die Hand nach mir aus.
Sagt "Hallo Mama", und schläft weiter.
Mein Kleiner. Mein liebster, feiner, kleiner Kerl.
Wie gut, dass du da bist.


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