Ich vermeide Auseinandersetzungen

Ich vermeide Auseinandersetzungen mit dem herrlichen Kind, wann immer es geht. Nicht aus einer pädagogischen Überlegung heraus, sondern weil es mich so anstrengt. Wenn es egal ist, gebe ich nach. Oder ich lenke ihn ab. Ich besteche und manipuliere, locke ihn, lasse es gut sein. Aber ich kämpfe nicht gerne mit ihm. Es fühlt sich vorher immer so falsch an. Währenddessen ist es gar nicht so schlimm meistens und hinterher manchmal richtig gut. Weil es ja auch so sein muss, es gehört dazu. Es ist vorgesehen. Meine Stiefmutter hat den sehr klugen Satz gesagt "Wenn kämpfen, dann gewinnen - aber wenig kämpfen."
Heute morgen war jede Kleinigkeit ein Kampf, ein Drama. Wickeln, anziehen, eincremen sowieso und Zähneputzen besonders. Ich musste ihn auf dem Boden fixieren, um seine kleinen Zähnchen zu putzen. (Dabei habe ich gesehen, warum er am Wochenende Fieber hatte - tatsächlich sind auch für einen so kleinen Menschen acht Backenzähne vorgesehen, nicht vier, wie ich gehofft hatte.) Ein Drama heute Morgen auch, dass ich meine Zähne geputzt habe, dass ich mich angezogen habe. 126 Mal hat er "Nein" gerufen und dazwischen "Mama Arm". Wildes Schluchzen, Zornheulen, wehende Rotzglocken aus beiden Nasenlöchern, Tränenströme, rotes Gesichtlein. Ich habe tief geatmet und ihm gesagt, dass ich ihn lieb habe, auch wenn er grantig ist, auch wenn er emotional ist, auch wenn er sich anstellt, auch wenn es gerade sehr laut und ungemütlich ist mit ihm und ich seit 2 Jahren wach bin. Einmal habe ich gesagt, dass es reicht, Schluß jetzt. Und es durchgezogen. Weil, ja weil eben. Es gibt keine 2 Meinungen beim Zähneputzen und Anziehen. Und der Kampf und wie er gekämpft wird und dass er bitteschön unbedingt von mir, seiner Mama, seinem Fels in der Brandung, gewonnen wird, ist wichtig. Manchmal. Leider. Weil das herrliche Kind ist doch ohnehin so wahnsinnig fremdbestimmt und alles wird ihm vorgesetzt. Und wenn ich etwas nachfühlen kann aktuell, dann die Anstrengung und Frustration des Fremdbestimmt Seins.

Und dann gibt es doch mehr als eine Meinung beim Anziehen: das herrliche Kind ist heute in Shirt und kurzer Hose (meine Meinung), barfuß (uneinig) und mit dem Pyjama über den Klamotten (seine Meinung) im Kindergarten angekommen.
Weil natürlich gewinne ich, sonst könnte er sich mit mir nicht sicher fühlen. Aber ich möchte ihm die Wahl lassen, damit er irgendwann sagen kann, was er möchte im Leben. Er. Was Seines ist.
Und heute hat das herrliche Kind "Sowohl als Auch" gewählt, das Feine. "Sowohl als Auch" ist die klügste Wahl. Das lerne ich mühsam und versuche es meinen Patienten zu vermitteln: integrieren, annehmen, Grauzonen aushalten, nicht spalten, mit dem Sowohl als Auch leben.
Klamotten und Pyjama als Ausdruck dafür, dass er intuitiv schon viel verstanden hat und Memo an mich selbst, ihn nach Möglichkeit nicht zu viel zu stören. 
Wenn die Zähne geputzt sind selbstverständlich.

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